Pädagogische Hochschule Ludwigsburg
»Hier kann man die Wut rauslassen«
Jugendlicher Teilnehmer bei BEATSTOMPER
»In Praktika steht man immer vorne dran, hier kann man auf einer anderen Ebene etwas mit den Jugendlichen machen.«
Studentin der Sonderpädagogik, Teilnehmerin bei BEATSTOMPER
Beispiele Guter Praxis. In: Maedler, Jens (Hg.): TeilHabeNichtse. München 2008
Stand: 04.01.2008
Trommeln was das Zeug hält, auf allem, was sich dafür anbietet: Fässer, Schilder, Felgen, aber auch Brückengeländer, Container oder alte Motorhauben. Die BEATSTOMPER nutzen vielfältige Möglichkeiten und Materialien, um ihre Percussion-Performances zu realisieren. Ende 2006 hat sich in Reutlingen unter der Leitung des Diplom-Rhythmikers Dierk Zaiser die erste BEATSTOMPER-Gruppe formiert. Angelegt als Forschungsprojekt der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, kooperieren Hochschule und soziale Träger der Jugendhilfe, Jugendgerichtshilfe und Schulen. Innerhalb der BEATSTOMPER arbeiten Jugendliche und Studierende des Fachbereiches Sozialpädagogik zusammen und entwickeln gemeinsam die musikalischen und choreografischen Performances. Das Angebot wendet sich in erster Linie an Jugendliche und Junge Erwachsene im Alter zwischen 15 und 25 Jahren, die klassische Kulturangebote kaum erreichen. Neben Teilnehmern/innen, die von Bildungsbenachteiligung und Migrationshintergrund betroffen sind, kristallisiert sich ein Schwerpunkt in der Arbeit mit delinquenten Jugendlichen heraus. Nach einer Anfrage der Jugendgerichtshilfe setzt sich die zweite Modell-Gruppe in Bad Urach ausschließlich aus delinquenten Jugendlichen mit Migrationshintergrund zusammen. Teilnehmer/innen, die im Rahmen ihrer Verurteilung zur Ableistung von Arbeitsstunden herangezogen wurden, können diese bei entsprechender Indikation im BEATSTOMPER-Projekt ableisten. Wenn sich die Jugendlichen, haben sie die Möglichkeit, über die BKJ den Bildungspass »Kompetenznachweis Kultur« zu erwerben.
Das Modell-Projekt gibt der Zielgruppe die Möglichkeit, künstlerische Erfahrungen zu sammeln und über diesen Weg Interesse und Motivation an kontinuierlicher, kultureller Praxis zu entwickeln. Interessierte Jugendliche können auch ohne Vorkenntnisse bei den BEATSTOMPERN mitmachen. Wichtig ist vielmehr eine verbindliche, regelmäßige Teilnahme an den wöchentlichen Probenterminen und den eher sporadischen Auftritten der Gruppe. Durch die Tandem-Kooperation zwischen Jugendlichen und Studenten/innen sollte sich nach Möglichkeit über die gemeinsame musikalische Praxis hinaus eine Alltagsbegleitung entwickeln. Dieser Anspruch löste sich in der Realität kaum ein, was insbesondere auf die zeitlich knappen Ressourcen und die mangelnde methodische Vorbereitung der Studenten/innen zurückzuführen sein dürfte.
Obwohl die erste, sehr heterogene BEATSTOMPER-Gruppe in Reutlingen eine relativ starke Fluktuation aufweist, hat sich im Laufe der Zeit ein ausgeprägtes Gruppengefühl entwickelt. Inzwischen stehen die Teilnehmer/innen der Gruppe teilweise auch außerhalb der Probezeiten in Kontakt. Probleme entstanden in der Anfangsphase durch Rollenkonflikte bei den Studenten/innen und durch die strukturellen Bedingungen. Diese Startschwierigkeiten gab es in der zweiten BEATSTOMPER-Formation in Bad Urach nicht. Die dortige Gruppe ist homogener strukturiert, die delinquenten Jugendlichen mit Migrationshintergrund kannten sich bereits im Vorfeld aus einem Jugendtreff und sind teilweise familiär miteinander verbunden, was den Projektrahmen überschaubarer und beweglicher macht.
Die Akzeptanz der provokativen Verfremdung von Alltagsmaterialien für musikalische Zwecke ist bei den Jugendlichen hoch, das ungewöhnliche Material aktiviert ihr Interesse. Es ist cool auf Schrottmaterialien zu trommeln, sich einen elektronischen Schlagzeuganzug anzuziehen und darauf zu spielen oder sich an einer Brücke abzuseilen und dort die Sticks fliegen zu lassen. Diese Aspekte bilden eine Besonderheit für das künstlerische Profil und die sozialkommunikative Interaktion zwischen den Teilnehmern/innen: die BEATSTOMPER sind und können etwas Besonderes. Das Projekt erfüllt künstlerische und soziale Funktionen, indem es eine neue, musikalisch-performative Form umsetzt und innerhalb der Aktivitäten einen Raum für die Vermittlung sozialer Kompetenzen schafft. Durch den Forschungsauftrag des Projektes werden gleichzeitig wissenschaftliche Informationen im Bereich der kulturellen Arbeit mit sozial benachteiligten Zielgruppen gesammelt. Regelmäßige Protokolle, Interviews, Feedback- und Strategiegespräche sowie Video-Dokumentationen belegen und überprüfen die individuelle Entwicklung der Teilnehmer/innen. In den filmischen Projekt-Dokumentationen der Proben- und Auftrittssituationen zeigen sich auf beeindruckende Weise die große Leistungsbereitschaft und –fähigkeit der Teilnehmer/innen, die scheinbar im Widerspruch zu ihrem Alltagsverhalten stehen. Die öffentliche Präsenz bei den Auftritten spielt im Forschungskonzept eine wichtige Rolle, da durch sie eine positive Reputation erreicht und gesellschaftlichen Stigmatisierungen entgegengewirkt werden soll. Das Forschungsprojekt geht zudem der Frage nach, welche Bedeutung die Auftritte für die Motivation und die Entwicklung der einzelnen Teilnehmer/innen haben.
Die sichtbaren Erfolge des BEATSTOMPER-Projektes liegen in der hohen Qualität der pädagogischen und künstlerischen Arbeit, die für eine positive öffentliche Präsenz und ein verbreitertes Netzwerk gesorgt haben. Deutlich wird die Verbindung der pädagogischen und künstlerischen Qualität nach außen auch im Kompetenznachweis Kultur, den die Jugendlichen bei einem nachhaltigem Projektengagement erhalten können. Ein jugendlicher BEATSTOMPER mit irakischem Migrationshintergrund erwarb im dialogischen Verfahren mit dem Projektleiter den von der BKJ verliehenen Bildungspass. Damit werden seine künstlerischen und handwerklich-technischen Leistungen ebenso wie seine Sozial- und Selbstkompetenzen in einem schriftlichen Dokument nachvollziehbar dargestellt.
Trommeln was das Zeug hält, auf allem, was sich dafür anbietet: Fässer, Schilder, Felgen, aber auch Brückengeländer, Container oder alte Motorhauben.
Die BEATSTOMPER nutzen vielfältige Möglichkeiten und Materialien, um ihre Percussion-Performances zu realisieren. Mehr…